Ständige Erreichbarkeit ist ein Thema, das seit 20 Jahren im Rahmen der Diskussion um Work-Life-Balance besteht. Der Siegeszug des Mobiltelefons bzw. Smartphones und die jetzigen Herausforderungen haben die Situation verschärft. In Zusammenarbeit mit Beate Danczul, Geschäftsführerin bei Consentiv, eine der führenden Organisationen im Bereich Mitarbeiterprogramme und -entwicklung, haben wir für Mitarbeiter und Führungskräfte Tipps zusammengestellt, wie sie die Balance zwischen Erreichbarkeit, Abgrenzung und Unternehmenszielen halten.

Das Problem von Leistung und Anwesenheit

Die heikle Balance zwischen flexiblem Arbeiten und dem dafür notwendigen Vertrauen seitens der Führungskräfte zeigt bereits 2019 die Flexible Working Studie von Deloitte Österreich auf:

  • 75% der Unternehmen geben an, ihren Mitarbeitern bei flexiblem Arbeiten zu vertrauen, 39% setzen aber zusätzliche Maßnahmen zur Kontrolle ein.
  • 65% erwarten von ihren Führungskräften, auch in der Freizeit, ständig erreichbar zu sein.
  • In 85 % der Unternehmen hat die physische Anwesenheit im Büro große Bedeutung. Eine Gleichsetzung von Anwesenheit mit Leistung kann zur Folge haben, dass Mitarbeiter sich nicht trauen, Home Office Angebote zu nutzen.

Kontrolle und ständige Erreichbarkeit verursachen Stress

Während der Corona-Krise müssen plötzlich alle, deren Job es erlaubt, von zuhause aus arbeiten. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwinden: das Notebook ist griffbereit, warum also nicht am Abend E-Mails beantworten oder ans Telefon gehen, wenn der Chef anruft?

„Was verschärfend in der Krise wirkt, ist die Tatsache, dass die bisher gelebte Arbeitszeit an Bedeutung verliert. „Die Versuchung, die eigenen Mitarbeiter unabhängig von diesen Arbeitszeiten schnell einmal zwischendurch anzurufen, ist groß.“, berichtet Beate Danczul, Geschäftsführerin Consentiv, aus ihrer aktuellen Beratungspraxis. Ihr Unternehmen berät Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit dem Ziel, dass Mitarbeiter den Kopf frei für die Arbeit haben. In diesem Zusammenhang gewinnen auch klare Home Office Regelungen an Bedeutung, denn ständige Erreichbarkeit erzeugt Stress und nagt an der Motivation.

Die Bedeutung von Eigenverantwortung

Um den beruflichen Verpflichtungen momentan bestmöglich nachkommen zu können, müssen Zeit für qualitative Pausen, gesundes Essen und ebenso für ausreichendes Home-Schooling zur Verfügung stehen. Beate Danczul sieht Eigenverantwortung gefragt: „Unabhängig von der Erwartungshaltung Dritter, müssen wir selbst entscheiden, welche Prioritäten wir setzen. Dazu braucht es die Fähigkeit, eigenverantwortlich und ohne schlechtes Gewissen Entscheidungen zu treffen.“

Die Wichtigkeit einer Kultur des Vertrauens

Unternehmen erwarten, dass ihre Mitarbeiter sich im Home Office eigenverantwortlich Strukturen schaffen, gleichzeitig drängt die wirtschaftliche Situation nach Ergebnissen. Der richtige Führungsstil ist nun besonders gefragt. Zu viel Micromanagement wird von Mitarbeitern leicht als mangelndes Vertrauen in ihre Arbeit und ihr Engagement interpretiert.

Frau Danczul bestätigt das aus eigener Erfahrung: „In Wahrheit müssen wir Führungskräfte unsere Sorge um den eigenen Kontrollverlust ausblenden und viel mehr in die Kompetenz und Eigenverantwortung unserer Mitarbeiter vertrauen. Auch ich bin in den ersten Wochen der Krise im Aktionismus gelandet und habe geglaubt, ich muss alles „dirigieren“. Das ist ja auch eine Form von Angstbewältigung. Seitdem ich das abgelegt habe, funktionieren unsere Prozesse viel besser!“

Authentisches  Vorleben hilft gegen „ängstliches (angstbesetztes) Kopfkino“

Am überzeugendsten wirken Führungskräfte durch ihre Vorbildwirkung. Es soll sichtbar werden, dass auch sie sich Zeit für Sport und dergleichen nehmen, in der sie nicht erreichbar sind. Das bewirkt Authentizität und ermöglicht es Mitarbeitern, dies auch so zu leben. Und zwar ohne schlechtes Gewissen. Denn was passiert, wenn ein Chef außerhalb der Dienstzeit anruft und sich zwar denkt, „Mein Mitarbeiter kann das Telefon ja auch läuten lassen!“, beschreibt Danczul so: „Oft löst das Angst bei Mitarbeitern aus: “Wenn sie jetzt nicht am Telefon erreichbar sind, dann sind sie vielleicht demnächst entbehrlich? Dieses Kopfkino entsteht vor allem in Zeiten der Angst, wo wir auch dünnhäutiger sind.“

Mitarbeiter dürfen auch Regeln einfordern

Damit Abgrenzung gelingt, haben Mitarbeiter eine eigenverantwortliche Rolle. Sie können und sollen das Einhalten von Regeln einfordern. Dabei ist natürlich darauf zu achten, ob Feedback erwünscht ist. Mit einer Formulierung wie: ´Ich möchte Ihnen gerne erklären, was es mit mir macht, wenn Sie außerhalb meiner Dienstzeit anrufen. Ist das OK für Sie?´, kann das Gespräch schon mal gut beginnen und letztendlich zu einem Joker werden. Denn viele Führungskräfte geben in diesen Zeiten alles, um ihre Mitarbeiter bestmöglich zu unterstützen. Dabei können sie etwas übersehen und eben Abends noch anrufen oder mailen. Wenn das Team hier mit Feedback eingreift, hilft das beiden Seiten.

Asynchrones Arbeiten bei Home-Schooling

Eltern sind dankbar, wenn sie sich die Zeit individuell einteilen können. Viele arbeiten sehr früh oder spät abends, um tagsüber für ihre Kinder da sein zu können. „Hier heißt es dazulernen!“, wie ein Manager in einem virtuellen Führungskräftetraining ehrlich berichtete: Er finde diese Möglichkeit gut, gleichzeitig ist das asynchrone Arbeiten eine Herausforderung für alle.

Greifen Sie auf ihre gewohnten Ressourcen zurück

Zum Entspannen unterstützen am besten jene Hilfsmittel, die uns schon immer gut getan haben. „Im Stress fallen wir oft in alte Mustern zurück, die möglicherweise nicht hilfreich sind. Da ist es wichtig, jene Ressourcen zu nützen, von denen wir wissen, dass sie uns gut tun “, so Danczul. Ob Laufen, Meditation oder ein feines Essen bei einem schön gedeckten Tisch– bleiben Sie sich treu, trotz des immensen Drucks.

Kleine Frage mit großer Wirkung

Viele Mitarbeiter haben in dieser Krise Ängste um den Arbeitsplatz oder die Gesundheit von Familienmitgliedern. Wenn Sie Meetings abhalten, nehmen Sie sich immer wieder einmal Zeit für eine sogenannte Befindlichkeitsrunde. Sie werden sehen, wieviel Gemeinschaftsgefühl die einfache Frage ´Wie geht es Ihnen gerade?´ auslöst.

Beate Danczul merkt die Erfolge bei ihren digitalen Formaten: „Die Mitarbeiter haben damit die Möglichkeit, ihre momentanen Sorgen anzusprechen, erkennen, dass sie nicht allein mit diesen Gefühlen sind und sie sehen wie andere mit Ängsten umgehen. Dies gibt die Möglichkeit auch voneinander zu lernen und in die Handhabbarkeit der Situation zu vertrauen. Wenn ich mein Unternehmen gesund halten will, muss ich auch Raum für resilienzfördernde Maßnahmen geben.“

Fazit: Ständige Erreichbarkeit

Damit die Zusammenarbeit von Führungskräften und Mitarbeitern auch bei Home Office gut gelingt, haben wir mit Beate Danczul, Geschäftsführerin bei Consentiv, eine der führenden Organisationen im Bereich Mitarbeiterprogramme und – entwicklung, folgende Tipps zusammengefasst:

  • Vertrauen statt Kontrolle fördert Eigenverantwortung und Motivation.
  • Authentische Führungskultur vermittelt, dass Freizeit respektiert wird.
  • Wenn Sie sich als Führungskraft bestmöglich an vereinbarte Dienstzeiten halten, vermeiden Sie zusätzliche Ängste um den Arbeitsplatz, besonders in Krisenzeiten.
  • Berufstätige Eltern brauchen aufgrund von Home-Schooling Rücksichtnahme. Ermöglichen Sie asynchrones Arbeiten, auch wenn es eine Herausforderung für alle ist.
  • Geben Sie Raum für Kommunikation: Mitarbeiter sollen ihren Führungskräften sagen können, was sie brauchen, um gut und eigenständig zu arbeiten.
  • Setzen Sie beim Entspannen auf bewährte Muster.
  • Ab und zu eine sogenannte Befindlichkeitsrunde abzuhalten, führt zu einem produktiven Austausch und Gemeinschaftsgefühl in Krisenzeiten.

Abschließend gibt Beate Danczul anderen Unternehmern mit auf dem Weg: “Das Einhalten von einigen kleinen Tipps erhält den notwendigen positiven Spirit in Unternehmen“.